R. C. SmithOld Stories in German

Zeit

Audio gelesen von RC (2:51)

Solange ich mich erinnern kann, und das ist sehr lange, hat es nie irgendwelche Schwierigkeiten mit der großen Uhr gegeben, die über der Türe hängt, durch die manchmal Menschen in den Saal kommen. Für diejenigen von uns — und das sind die meisten — die gelernt haben, die Uhr zu lesen, war sie stets eine Quelle von Ruhe, Zuversicht und Ordnung, sie brachte einen Halt in unser Leben, etwas Objektives, an dem wir uns messen konnten, eine stets gültige Realität, an der wir unsere Realität erfahren konnten. Die Zeit war unser Freund, es war wichtig zu wissen, dass es sechs Uhr zwanzig war, und wenn alles sich veränderte, wenn es hell wurde und wieder dunkel, wenn es warm wurde und wieder kalt, wenn wir hungrig wurden und zu Essen bekamen, die Zeit änderte sich nicht, und einige von uns gingen, andere kamen an ihre Stelle, aber die Zeit blieb, sechs Uhr zwanzig, und das war gut so, und wir wussten es.

Seit kurzem aber ist es unruhig geworden, durch die kleinen Fenster sieht man Feuerschein wenn der Himmel dunkel ist, und die dicken Mauern erbeben, wenn wir dumpfes Donnern hören. Drei Männer sind in unseren Saal gekommen, andere Männer als sonst, einer hat eine Kiste voll Werkzeug mitgebracht, einer hielt ein Gewehr, und einer hat gesprochen, von einer neuen Zeit, während der mit dem Werkzeug sich an der Uhr zu schaffen machte, und wir nicht verstanden, was vor sich ging. Jetzt sind sie gegangen, es scheint schon lange her, und unser Leben hat sich wieder beruhigt. Es ist eine neue Zeit, in der wir jetzt leben, und wir werden uns an sie gewöhnen, werden mit ihr leben, und die meisten von uns sind überzeugt, dass es eine bessere Zeit ist, die wir jetzt haben. Auch ich finde, die neue Zeit hat kommen müssen, und, anders als die Anderen, denke ich sogar, dass auch sie nicht ewig bleiben wird; vielleicht erleben wir es, vielleicht auch nicht, aber jedenfalls wissen wir, die neue Zeit ist gut, acht Uhr fünfundvierzig, acht Uhr fünfundvierzig, es gibt sogar schon einige unter uns, die die alte Zeit gar nicht mehr miterlebt haben.

Time

For as long as I can remember, and that’s a long time, there have never been any problems with the big clock that hangs above the door through which sometimes men or women come into the hall. For those among us — and that is most of us — who have learned to read the clock, it has always been a source of regularity, confidence and comfort, bringing stability into our lives, an always present reality, by which we could measure our own. Time was our friend, it was important to know that it was twenty minutes past six, and when everything changed, when it got light and dark again, when it got warm and cold again, when we got hungry and received our meals, time did not change, and some of us departed, and others came in their place, but the time remained, twenty minutes past six, and that was good, and we knew it.

Recently though there have been disturbances, through the small windows reflections of fires can be seen when the sky is dark, and the thick walls tremble when we hear the roar of distant thunder. Three men have entered our hall, others than before. One brought a box of tools with him, one carried a gun, and one held a speech, about a new time, while the one with the tools busied himself with the clock, and we did not understand what was going on. Now they have left, it already seems long ago, and our lives have calmed down again. It is a new time in which we live now, and we will get used to it, we will live with it, and most of us are convinced that it is indeed a better time, which which we now have. I, too, think that the new time had had to come, and, unlike the others, I even think that it, too, may not remain forever; maybe we will live to see this, maybe not, but we do know that the new time is good, eight forty-five, eight forty-five, and there are already some among us, who haven’t even known the old time.

(ca. 1975, minor edits and translation 08/2022)

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